Unterschiedliche Erfahrungen
An einem Ort , an dem ich gelegentlich das Mittagsgebet mitbete, erlebe ich dieses in seiner Wirkkraft sehr unterschiedlich. Fast immer wird die Sext aus der Tagzeitenliturgie genommen, und doch wirkt der kleine Gottesdienst das eine Mal lebendig und eingepasst in die Situation in der Mitte des Tages, das andere Mal wie ein Absolvieren dessen, was im Stundenbuch ja schon alles steht und nur noch gelesen und gesprochen werden muss. Die eine Variante beginnt etwa so: „In der Mitte des Tages halten wir inne, atmen durch, atmen auf …“ Die andere Variante beginnt so: „Die Psalmen befinden sich auf S. 491 ff., der Hymnus steht auf S. 145 oben. – O Gott, komm mir zu Hilfe …“
Die erste Form nimmt mich mit. Sie hilft mir, die Arbeit des Vormittags und die erwarteten Tätigkeiten und Begegnungen des Nachmittags vor Gott zu bringen. Die zweite Form ist auch ein Mir-Zeitnehmen für Gott, aber mit nur schwer herstellbarer Verbindung zu meiner gläubigen Existenz an diesem Tag.
Die Bedeutung des Anfangs
Die Gestaltung des Anfangs erfordert besondere Sorgfalt. Hier entscheidet sich, ob es gelingt, die Anwesenden mitzunehmen auf einen Weg – auf einen Weg, der einen Unterschied in ihrem Leben und Glauben macht. Es entscheidet sich, ob sie einsteigen in einen wirksamen Prozess, in dessen Verlauf sich in der Begegnung mit Gottes Heilswirken etwas in den Einzelnen und in der Gemeinschaft verändert. Einen Prozess, aus dem die Feiernden neu orientiert, getröstet, gestärkt – oder auch irritiert und dadurch für neue Sichtweisen geöffnet – herauskommen. Um sich in diesen Prozess zu begeben, braucht es eine „geöffnete Tür“, die das Einsteigen ermöglicht.
Praktische Hinweise zur Gestaltung eines gelungenen Einstiegs
Wie kann ich als Gottesdienstverantwortliche diese Tür öffnen?
Dazu drei Hinweise:
- Ich mache mir in der Vorbereitung auf den Gottesdienst bewusst, dass es einen Übergang braucht vom Alltag zum Gottesdienst. Alltagshandeln und Gottesdienst sind sehr verschiedene Vollzüge, für die es je eine eigene innere Haltung braucht.
- Um diesen Übergang gut zu gestalten, führe ich mir die vermuteten Mitfeiernden vor Augen. Ich vergegenwärtige ich mir, wo die Mitfeiernden gerade herkommen, was sie möglicherweise bewegt, und was sie sich vom Gottesdienst erhoffen.
- Ich gestalte den Übergang bewusst in einer für diese konkreten Menschen passenden Art: etwa mit der Einladung zur Wahrnehmung der Gemeinschaft, mit sparsamen Worten der Hinführung in die Öffnung für Gott, mit Stille, die es ermöglicht, sich selbst vor Gott wahrzunehmen. Auch das oben erwähnte Eröffnungsversikel „O Gott, komm mir zu Hilfe“ gehört zu den hilfreichen Elementen, die zum bewussten Eintreten in die Gegenwart Gottes beitragen. Die Wirkung des Versikels ist jedoch stärker, wenn es in einen bewusst gestalteten Übergang eingebettet ist, als wenn es unvermittelt auf die technischen Anweisungen (hier: die Mitteilung der Seitenzahlen) folgt.
Auch die Leitungsperson braucht diesen Anfang
Übrigens geht es bei der Gestaltung des Beginns nicht nur darum, einen Einstieg für die Mitfeiernden zu eröffnen. Es geht auch um mich als Leitende. Auch ich muss den Zugang finden, muss den Weg innerlich mitgehen können – für mich selbst und um der Mitfeiernden willen. Nur wenn ich selbst mit auf diesem Weg bin, kann ich auch die Mitfeiernden gut leiten. Wenn ich Worte wähle, die mir selbst helfen, und wenn ich die Zeit gebe, die mir zum Ankommen dient, dann stehen die Chancen gut, dass ich auch die Mitfeiernden abhole und mitnehme. So gehen wir im Gottesdienst gemeinsam einen Weg, auf dem wir von Gott berührt werden, und der eine Wirkung für unser Leben und Glauben hat.
Dieser Beitrag erschien in ähnlicher Form im Anzeiger für die Seelsrge, Heft 4/2025, S.41.